Die unsichtbare Hand des Marktes ist längst grün (06.10.2021)

Wir können Wirtschaftswachstum und den Ausstoß von Kohlendioxid entkoppeln. Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen und Einstellungen stimmen, schreiben IW-Direktor Michael Hüther und Daniel Mack, Leiter der Verkehrs- und Umweltpolitik der Daimler AG in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag.

Alle reden über den notwendigen Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft zur Klimaneutralität. Nie war der Konsens größer. Und dennoch kommt die Umsetzung unzureichend voran. Jeder, der um die Aufgabe weiß, erkennt auch, dass unsere Veränderungsgeschwindigkeit nicht reicht, um die für 2045 definierten Ziele zu erreichen. Es klemmt beim Ausbau der Infrastruktur, bei der Setzung des regulatorischen Rahmens und den Verfahren zur Planung und Genehmigung der Großprojekte, die nun einmal der Staat als Vorleistung zu erbringen hat. Die Stromtrasse SuedLink - ein zentrales Element zur Umsetzung der Energiewende - wird seit zehn Jahren geplant. Doch gebaut ist bisher nichts, obwohl für 2022 die Fertigstellung wegen der dann vom Netz gehenden Atomkraftwerke geplant und geboten ist. Diesem Beispiel ließen sich andere hinzufügen.

Wenn man auf die Spurensuche geht, woran es liegt, dann trifft man auf viele Hindernisse im Großen wie im Kleinen, vor Ort wie bei Land und Bund. Die Pandemie hat Defizite aufgezeigt. Dank der Grundlagenforschung von Biontech und des technologischen Know-hows der Mainzer war der Impfstoff gut neun Monate nach der Ausbreitung von Corona verfügbar. Weltrekord. Kein Zufall, sondern ein Beispiel für die Innovationskraft, Präzision und Geschwindigkeit in Deutschlands Unternehmenslandschaft. Mit dem hohen Tempo war es vorbei, als der Staat mit seinen Strukturen und Prozessen gefragt war. Bis heute diskutieren Bund und Länder, warum die Verfügbarkeit und Verteilung des eigenen deutschen Impfstoffs nicht gelungen ist.

Nicht anders, wenn es um den Weg zur Klimaneutralität geht. Fragt man nach den verbindenden Ursachen, warum der Staat nur schwer vorankommt, dann zeigt sich - ganz abstrakt - bei vielen Akteuren und Beteiligten, dass sie die Konsequenz dieses Weges übersehen, verkennen oder gar ignorieren. Das gilt für Menschen, die konkret von Investitionen beeinflusst werden und dann vergessen, dass es um mehr geht als ihren Vorgarten. Das gilt für gesellschaftliche Gruppen, die eine wirksame Antwort im Abschied von der Marktwirtschaft sehen und ignorieren, wie überragend negativ dazu der historische Befund ist. Das gilt für jene Parteien, die trotz aller verbaler klimapolitischer Vehemenz übersehen, dass einige ihrer Traditionsbestände der Umsetzung entgegenstehen. Das gilt für Regierung und Verwaltung, die mehr tun müssen, um in Behörden das Denken und Handeln in Silos zu überwinden, um die immense Herausforderung, klimaneutral zu werden, bewältigen zu können.

„Wem das Herz am Erreichen der Klimaneutralität hängt, versteht die Wirtschaft als Partner”

Die Parteien sollten in die Führung gehen, wenn es darum geht, ideologische Stereotypen mutig aufzugeben. Das könnte die Bürger am ehesten überzeugen, ihre oftmals verdeckte Abwehrhaltung für die gemeinsame Verantwortung zu überprüfen. Jede Partei ist davon betroffen. Die einen werden zu Planungsverfahren, Verbandsklagerecht und aktive CO2-Entnahme aus der Atmosphäre eine andere Position benötigen und müssen lernen, unternehmerischen Erfolg positiv zu begleiten, die anderen werden eine andere Position zur Schuldenbremse und der Überprüfung unserer föderalen Staats- und Verwaltungsordnung benötigen. Vor allem muss es darum gehen, dass alle am gleichen Strang ziehen, wenn es um die Frage geht, in welcher Wirtschaftsordnung die Klimaneutralität am schnellsten und am effizientesten erreichbar ist: in der sozialen Marktwirtschaft. Das verlangt den Staat als ordnenden Regelgeber für wirksamen Wettbewerb auf offenen Märkten, als verlässlichen Bereitsteller der Infrastruktur und als Organisator subsidiärer, aber solidarischer sozialer Sicherung. Eigentlich eine Binsenweisheit unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Aber die öffentlich-mediale Debatte und das konkret bespielte wirtschaftspolitische Arsenal von Preisdeckeln, Subventionen oder Enteignung weisen in eine andere Richtung.

Was bedeutet das für Deutschlands Politik in den kommenden Jahren?

Erstens: Mit Innovation Beispiel werden.

Deutschlands Geschäftsmodell der Zukunft ist nicht weniger zu wachsen, sondern klimaneutrale Anwendungen weltweit zu exportieren. Die Welt wartet nicht auf ein Deutschland, das sich kleinredet und sich im Schrumpfen gefällt, sondern auf ein Deutschland, dass vorhandene Produkte besser macht, neue Lösungen entwickelt, anderen zur Verfügung stellt, in Europa als Technologieführer vorangeht und zum Beispiel dafür wird, wie sich Wohlstand und Wachstum vom CO2-Ausstoß entkoppeln lassen.

Die Rolle des Staates ist dabei nicht, den Versuch zu unternehmen, Innovation und Technologie per Gesetz verordnen zu wollen und Entscheidungen über Technologien der Zukunft zu treffen. Bund und Ländern kommt die Rolle zu, Ziele zu definieren, und die Erreichbarkeit dieser durch abgestimmte Impulse und den Aufbau der dafür notwendigen Infrastruktur zu unterstützen. Günstige Rahmenbedingungen, Investitionen und Wissenschaft und Forschung können dafür sorgen, dass weiteres unternehmerisches Kapital freigesetzt wird, neue Ideen hier in Deutschland zuerst entwickelt, erprobt und angewandt werden. Hier und nicht anderswo auf der Welt.

Zweitens: Die Wirtschaft unterstützen.

Unternehmen gehen klimapolitisch voran. Nicht wegen, sondern trotz der politischen Debatte. Die unsichtbare Hand des Marktes ist längst grün. Aktienkurse bilden die Zukunft ab. Es ist unstrittig, dass CO2-intensive Geschäftsmodelle auslaufen und es schon mittelfristig schwer haben werden, sich zu finanzieren. Die Herausforderung der ökologischen Transformation besteht darin, während des laufenden Geschäfts das neue klimaschonende Business zu entwickeln, an den Start zu bringen, um dann den Turning-Point möglichst weit nach vorne zu schieben.

Die öffentliche Debatte, Unternehmen müssten endlich verstehen, geht an der Realität vorbei. Mittelstand wie Konzerne geben sich keine Nachhaltigkeitsstrategien mehr, sondern justieren ihre nachhaltigen Unternehmensstrategien, geben sich ehrgeizigere Ziele und investieren Milliardenbeträge in klimaschonende Technologie. Der Patentvorsprung der Automobilbranche beim Elektroantrieb zeigt das eindrucksvoll.

Wem das Herz am Erreichen der Klimaneutralität hängt, versteht die Wirtschaft als Partner, knüpft gesellschaftliche Allianzen und unterstützt diejenigen, die überzeugt sind. Nicht um sich selbst zu gefallen, sondern um die Gruppe derer, die sich auf den Weg gemacht haben, zu vergrößern. Tut man das, wenn man Kreuzungen und Autobahnen blockiert, oder sorgt man so nicht eher dafür, dass sich Menschen vom Weg zu mehr Klimaschutz abwenden? Wer es ernst mit der CO2-Neutralität meint, muss sich um Alternativen bemühen. Stillstand ist jedenfalls keine.

Drittens: Ambitionierte, aber akzeptierte Ziele.

Ob die ökologische Transformation gelingt, wird von den Menschen entschieden. Nehmen sie Veränderungen an, sehen sie darin für sich persönlich etwas Positives, etwas Bereicherndes?

Wir sollten die Debatte viel mehr entlang dieser Fragestellung führen, Ideen zum Wandel mit den berechtigten Interessen der Mehrheitsgesellschaft abzugleichen, anstatt den Geist der Freiheit wieder in die Flasche drücken zu wollen. Deutschland wird scheitern, würden wir wirklich den Versuch unternehmen, Menschen weniger Mobilität zu verordnen. Stattdessen muss es nun viel mehr darum gehen, den Weg zur CO2-freien Mobilität in all ihren Facetten von den Menschen - Städtern wie solchen aus eher ländlichen Gebieten - aus zu denken. Es geht eben nicht allein um das Neue, sondern um den Weg von der bisherigen zur neuen Technologie und wie wir die Bevölkerung dabei mitnehmen.

Dabei stellt sich nicht die Frage nach dem Abbau persönlicher Freiheit, sondern nach dem Aufbau künftig notwendiger Infrastrukturen. Ist mehr Klimaschutz der symbolhafte Weg zum geförderten Lastenrad, oder sehen wir zu, wie wir in Deutschland den Einstieg in die strombasierte Wirtschaft beschleunigen? Es geht jetzt konkret darum, dass wir die Energiepolitik europäisch und darüber hinaus denken, den Weg zu sauberem Strom nicht abgekoppelt allein gehen, hierzulande aber dafür sorgen, dass der Strompreis sinkt, um Belastungen zu hemmen. Das setzt Kreativität für neue Business-Cases frei.

 

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.